Mythos oder Wahrheit? Die innovative Startup-Nation Schweiz.

Die Schweiz ist Innovationsweltmeister, die Schweiz ist Patent-Weltmeister, die Schweiz hat die besten Talente. Oder steht zumindest auf dem Podest, wenn es um solche Ranglisten geht. Schweizerinnen und Schweizer lieben es, Unternehmen zu gründen. Und es liegen ihnen auf dem Weg zum eigenen Unternehmen auch nicht viele Steine im Weg. Es gibt viele Schweizer Superlative und Top-Platzierungen wenn es um Innovation und Unternehmertum geht. Doch was stimmt? Wir haben uns durch Innovationsrankings und Digitalisierungsranglisten gelesen und geben einen kurzen Überblick.

Was ist Innovation? Und lässt sie sich für ein Land messen?

«Innovation ist der wohl wichtigste Faktor zur Mehrung des gesellschaftlichen Wohlstands und des wirtschaftlichen Wachstums. So unbestritten diese Aussage sein mag, so schwierig ist es, Innovation mittels politischer und regulatorischer Rahmenbedingungen zu generieren oder zu fördern. Einerseits besteht ein grosses Unwissen über die Prozesse erfolgreicher Innovation: Wie Ideen überhaupt entstehen, wie sie in adäquate Produkte umgewandelt werden, und wie sich diese Produkte im Markt durchsetzen lassen.» So kurz und knapp fasste economiesuisse das Thema Innovation in ihrer Untersuchung zur Innovationspolitik der Schweiz zusammen. Was macht denn eine innovative Nation wie die Schweiz überhaupt aus?

Economiesuisse definierte folgende Notwendigkeiten, um ein Umfeld für Innovation zu schaffen: Wettbewerbsfähigkeit stärken, Bildung insbesondere in MINT-Fächern, Partnerschaften und Vernetzung sowie Mittel für Forschung und Entwicklung.

Die Innovationskraft von Volkswirtschaften lässt sich sehr wohl messen, wie das seit einiger Zeit in der Europäischen Union angewendete Innovation Union Scoreboard zeigt. Es werden dabei viele verschiedene Kriterien wie Bildung, Rahmenbedingungen für Unternehmen und des Arbeitsmarkts, Forschung und Entwicklung, Kollaboration und geistiges Eigentum erfasst. Die Schweiz wird zwar in der offiziellen Statistik, die nur europäische Länder vergleicht, nicht erfasst, aber trotzdem jeweils mit den besten der EU verglichen. Sowohl 2011 und auch 2018 lag Schweden an der Spitze – und wurde von der Schweiz noch übertroffen. Die Schweiz scheint also zumindest Europameisterin in Innovation zu sein.

Medien schreiben wie anfangs erwähnt sehr oft über Patente, wenn es um die Beurteilung von Innovationskraft geht. Die Schweiz ist zwar auch im Anmelden von Patenten spitze, dass diese Beurteilung aber zu kurz greift, zeigen folgende Beispiele.

«Der Spitzenplatz der Schweiz ist unter anderem auf eine Handvoll Grossunternehmen zurückzuführen, die Jahr für Jahr eine beträchtliche Anzahl Anmeldungen einreichen», schreibt swissinfo.ch dazu und nennt folgendes, kurioses Beispiel: «Würde zum Beispiel Hofmann-La Roche ihren Sitz von Basel nach Vaduz verlegen, wäre Liechtenstein nach der Anzahl Patente auf einen Schlag das führende Land und die Schweiz würde ihre Vorherrschaft verlieren.» Den Patent-Weltmeistertitel hat die Schweiz demnach zu grossen Teilen der Pharma-Industrie zu verdanken. Auch bei Patenten ist nichtsdestotrotz eine differenzierte Sichtweise nötig, können sie doch von fast nutzlos bis bahnbrechend sein.

Nicht nur in Europa wird die Innovationskraft von Ländern anhand vieler Kriterien verglichen, sondern weltweit. Der Global Innovation Index vergleicht Volkswirtschaften weltweit und auch hier schneidet die Schweiz sehr gut ab und belegt? Natürlich, Rang 1.

Switzerland Global Enterprise gibt in ihrem Factsheet Innovation (PDF) dazu einen guten Überblick.

Also alles gut am Innovationsstandort Schweiz? Der Tagesanzeiger titelte vor Kurzem trotz vieler Top-Platzierungen etwas überraschend «Der schleichende Abstieg der Schweiz – Warum die Schweiz in internationalen Ranglisten an Boden verliert.» Was hat es damit auf sich?

«Bei der Digitalisierung ist die Schweiz weltweit zwar führend, doch ihre Position stagniert. Das zeigt die aktuelle Vergleichsstudie zur digitalen Wettbewerbsfähigkeit, welche die private Wirtschaftshochschule IMD in Lausanne jährlich durchführt. Gestern veröffentlichte das Bildungsinstitut die aktuellen Ergebnisse. Demnach erreicht die Schweiz im internationalen Vergleich mit 62 Ländern den fünften Rang, wie schon im vergangenen Jahr.», schreibt der Tagesanzeiger in seinem Artikel. Es geht also um die digitale Wettbewerbsfähigkeit und deshalb lässt sich auch erklären, weshalb Schweden in diesem Ranking auf einmal vor der Schweiz liegt. Die Schweiz überzeuge im Ranking insbesondere mit den im Land vorhandenen wissenschaftlichen Kompetenzen sowie der Fähigkeit, IT zu integrieren. Nachholbedarf gebe es dagegen beim für digitale Innovation vorhandenen Kapital. Auch bei der Ausbildung liege die Schweiz nur im vorderen Mittelfeld. Das IMD-Ranking zeigt ganz exemplarisch, wie sich die gemessene Innovationskraft von Ländern verändert, wenn man die zugrundeliegenden Parameter anders wählt. An sich logisch, aber trotzdem teilweise verwirrend bei den vielen Innovationsrankings, die täglich zitiert werden.

Der Tagi belegt seine These zum «Niedergang der Schweiz» mit folgender aufschlussreicher Grafik mit ganz unterschiedlichen Quellen und Platzierungen für die Schweiz:

Die Schweiz, ein Volk von Unternehmerinnen und Unternehmern?

Ein Ranking interessiert uns natürlich ganz besonders aus der Abbildung des Tagesanzeigers: Wie ist es möglich, dass die Schweiz beim «Aufwand für Firmengründung» nur auf dem 77. Platz liegt? An uns kann es auf jeden Fall nicht liegen, da wir alles tun, damit Sie Ihre Firma schnell, unkompliziert und dazu kostenlos gründen können.

Ist der Weg derart lang und beschwerlich, um in der Schweiz ein Unternehmen zu gründen? Bis 2017 ist die Anzahl Neugründungen in der Schweiz stetig gestiegen, 2018 lagen die neuen Einträge im Handelsregister bei 43’220 und damit nur 0.5 Prozent unter dem Rekordjahr 2017 mit 43’416 Neugründungen.

Zum Unternehmergeist haben wir die neuesten Schweizer Ergebnisse des Global Entrepreneurship Monitor (GEM), der grössten internationalen Studie über Entrepreneurship, studiert.

Die Förderung des unternehmerischen Bewusstseins und der positiven Einstellung zum Unternehmertum steht ganz oben auf der politischen Agenda der Schweiz. Dennoch sind die Absichten der Schweizer Bevölkerung, ein Unternehmen zu gründen, geringer (6,9%) als 2017 (10,5%) und sie liegen unter dem Durchschnitt anderer Volkswirtschaften mit hohen Einkommen (17,1%). Zudem haben sich tatsächlich nur 7,4% der Schweizer ein unternehmerisches Abenteuer begonnen. Die Gründungsrate unterschreitet den Durchschnitt der Vergleichsländer markant (10,4%). Zum einen trauen wir es uns nicht zu, ein Unternehmen aufzubauen (Wahrnehmung der Fähigkeitsrate bei 36,3%), zudem hat seit 2017 auch die Angst vor dem Scheitern zugenommen (39,9%, gegenüber 29,5% in 2017). Gegenüber den Amerikanern trauen wir uns bekanntlich weniger zu, aber auch gegenüber anderen europäischen Nationen sind wir unternehmerisch gesehen ziemliche Angsthasen. Erfolgreicher Unternehmer zu sein, verliert in der Schweiz – trotz ihrer KMU-Geschichte und grossen Bedeutung von KMUs als Rückgrat für die Schweiz – offensichtlich an Bedeutung.

Der Unterschied zu den Spitzenländern in Bezug auf die unternehmerische Tätigkeit ist 2018 grösser geworden. Die positiven Ergebnisse in Bezug auf die unternehmerische Wahrnehmung im Jahr 2017 oder höhere unternehmerische Absichten, den sozialen Status oder die Aufmerksamkeit der Medien führen nicht zu einem stärkeren Engagement bezüglich der unternehmerischen Tätigkeit.